Armutskongress am 08.11. mit Armutsforscher Christoph Butterwegge

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Der AStA veranstaltet am 8. November 2019 von 13.30-20.00 Uhr einen Armutskongress in der Lennéstr. 6, Raum 4.001.

Warum wir dies für notwendig erachten? Ab diesem Wintersemester liegt der BAFöG Höchstsatz bei 853 Euro - gemessen am Medianeinkommen Deutschlands gilt man, wenn der BAFöG-Höchstsatz die alleinige Einkommensquelle darstellt, damit als armutsgefährdet. Und tatsächlich trifft die Bezeichnung “arme*r Student*in” nach offiziellen Zahlen auf ¼ aller Studierender zu. Wer studiert, hat im Schnitt 812 Euro pro Monat zur Verfügung. Obwohl zwei von drei Studierenden nebenbei jobben, sind 87 Prozent auf Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Betrachtet man weiterhin Statistiken über die Armutsgefährdungsquote in Deutschland nach Alter, so fällt auf, dass im Jahr 2018 die Altersgruppe der 18-25-jährigen mit 25,6% die größte armutsgefährdete Gruppe darstellt - während die Armutsgefährdungsquote in Deutschland insgesamt 15,5 % betrug.

Gleichzeitig finden Studierende kaum Erwähnung, wenn über armutsgefährdete Personengruppen gesprochen wird, obwohl die oben genannten Zahlen Anderes vermuten lassen würden. Vor dem Hintergrund, dass geringes Alter zwar ein Kategorie ist, die Armut begünstigt, ein Hochschulabschluss aber ein wichtiger Faktor ist, der vor Armut schützt, befindet man sich in einem Spannungsfeld zwischen akuten finanziellen Nöten und der Aussicht auf ein zukünftiges Leben jenseits der Armutsgrenze.

Hinzu kommt die Frage, ob Armut lediglich einen eindimensionalen, materiellen Zustand des Mangels darstellt, oder ob Faktoren wie ein soziales Netz, Zugang zu kulturellen Angeboten und Bildung die Selbstwahrnehmung als “arm” verhindern und Armut als facettenreicher Zustand betrachtet werden muss, der Studierende konzeptionell ausschließt. Um diese und weitere Fragen soll es beim Armutskongress gehen.

Die Programmpunkte können selbstversändlich auch einzeln besucht werden!

Um uns die Planung zu erleichtern, würden wir uns über eine Anmeldung an sozial.ref@asta.uni-bonn.de freuen, aber auch Kurzentschlossene sind herzlich Willkommen. Verpflegung und Getränke stellen wir gerne für euch bereit :)

Hier findet ihr das vollständige Programm:

13.30 -15.00 Uhr: Expert*innengespräch – Facetten von Armut

Gemeinsam mit unseren Gästen möchten wir aus verschiedenen Perspektiven über die Auswirkungen von Armut diskutieren: Wie wirken sich finanziellen Notlagen und Armut auf die psychische Gesundheit aus? Inwieweit kann der Erwerb von Gesundheitskompetenz dies vorbeugen? Was bedeuten finanzielle Notlagen für die Finanzierung des Studiums und welche Einschränkungen der Lebensqualität gehen damit einher?

Es diskutieren: Alexandra Miethner (Dipl.-Psychologin, Geschäftsstelle BDP Landesgruppe NRW), Onur Özgen (Sozialberatung AStA Uni Bonn), Ulla Meurer (Diplom Sozialpädagogin, Pflegekinderdienst Hennef an der Sieg)

15.00-15.30 Uhr: Pause

15.30-17.30 Uhr: Workshop zum Armutsbegriff mit Dr. Andreas Aust

Armut – ein Wort, das häufig in verschiedensten Kontexten fällt. Aber um sich mit einer Thematik auseinandersetzten zu können, braucht es zunächst einen klar definierten Begriff. Was der Paritätische Gesamtverband meint, wenn er den Begriff Armut verwendet, wird uns Dr. Andreas Aust – Referent für Sozialpolitik an der Paritätischen Forschungsstelle – näher erklären. Der Workshop geht drüber hinaus auf das Armutparadox ein: Armut trotz Prosperität und Wirtschaftswachstum, welche Personengruppen zu den Betroffenen zählen und welche Rolle Studierende einnehmen.

17.30-18.00 Uhr: Pause

18.00(st.)-20.00 Uhr: Vortrag vom Armutsforscher Christoph Butterwegge - Armut in einem reichen Land

Seit geraumer Zeit bildet die wachsende soziale Ungleichheit das Kardinalproblem der Menschheit schlechthin. Im globalen Maßstab resultieren daraus Krisen, Kriege und Bürgerkriege, aber auch Flüchtlingsströme bisher unbekannten Ausmaßes. Im nationalen Rahmen stiftet die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ebenfalls Unfrieden, obwohl es hierzulande aufgrund des gegenüber Staaten der sog. Dritten bzw. Vierten Welt erheblich höheren Wohlstandsniveaus bisher (noch) nicht zu größeren sozialen und politischen Verwerfungen gekommen ist.

Betrachtet man die Sozialstruktur der Bundesrepublik, zeichnet sich eine Polarisierung ab, die auch im internationalen Vergleich extrem stark ausgeprägt ist. Wie beispielsweise im Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dokumentiert, zeigt sich die Verteilungsschieflage vornehmlich beim Vermögen, das sich zunehmend bei wenigen Hyperreichen konzentriert, die über riesiges Kapitaleigentum verfügen und meistens auch große Erbschaften machen.

Während die Reichen reicher werden, werden die Armen zahlreicher. Durch den fast ein Viertel aller Beschäftigten umfassenden Niedriglohnsektor breitet sich die Armut bis zur Mitte der Gesellschaft aus und verfestigt sich. Zu den Hauptbetroffenengruppen gehören Erwerbslose, Alleinerziehende, Kinder und Jugendliche, Rentner/innen und Familien mit Migrationshintergrund.

Dass die Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich zerfällt, ist kein unsozialer Kollateralschaden der Globalisierung, sondern durch falsche Weichenstellungen der politisch Verantwortlichen bedingt. Die sozialen Polarisierungstendenzen lassen sich auf die öffentliche Meinungsführerschaft des Neoliberalismus und von ihm durchgesetzte oder beeinflusste Reformen zurückführen.

Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und Armut wirksam bekämpfen will, muss den „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates beenden und darf den Arbeitsmarkt nicht weiter deregulieren, sollte ihn vielmehr reregulieren sowie die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben beenden und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Dazu sind die Wiedererhebung der Vermögensteuer, eine höhere Körperschaftsteuer, eine vor allem große Betriebsvermögen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehende Erbschaftsteuer, ein progressiver verlaufender Einkommensteuertarif mit einem höheren Spitzensteuersatz und eine auf dem persönlichen Steuersatz basierende Kapitalertragsteuer (Abschaffung der Abgeltungssteuer) nötig.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt sind seine Bücher „Armut“, „Hartz IV und die Folgen“ sowie „Grundeinkommen kontrovers“ erschienen.