Matrikel, Marx und Vorurteile: StattReisen Bonns neue Tour zum Uni-Jubiläum

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Studierende sind faul, aufmüpfig und wahlweise unpolitisch oder extremistisch: diese Vorurteile sind alle sattsam bekannt. Dieses Jahr kommt ein weiteres hinzu: Studierende gönnen der Universität Bonn ihre Jubiläumsfeier nicht.

So stellen sich nicht nur einige Reaktionen auf die Rede der AStA-Vorsitzenden zur Absolventenfeier dar, sondern auch der Ankündigungstext zur Uni-Jubiläumstour von StattReisen Bonn, nachzulesen hier.

Was StattReisen den Bonner Studierenden so vorwirft und was wir als studentische Vertretung dem entgegenstellen, könnt ihr in unserem Offenen Brief nachlesen:


Offener Brief an StattReisen, 16.07.2018


Matrikel, Marx und Vorurteile




Sehr geehrter Herr Volpert, liebe Mitarbeiter*innen von StattReisen!


Ihre neue Tour „Matrikel, Marx und Magnifizenz“ zum 200. Jubiläum der Bonner Universität wurde von vielen Menschen mit Spannung erwartet. Auch die Studierendenschaft hat vielleicht einen klitzekleinen Teil beigetragen und in einem langen Gespräch vielerlei Informationen zur Geschichte der studentischen Selbstverwaltung und der Hochschulpolitik geliefert.

Trotz dieses grundlegenden Interesses und unserer Hilfsbereitschaft, die Vorbereitung dieses weiteren PR-Spektakels für die Bonner Universität zu unterstützen, um die angekündigten „kritischen Fragen“ eben auch beantworten zu können, bewirbt StattReisen die neue Tour dann folgendermaßen:

Das 100jährige [Jubiläum] mußte ausfallen wegen des Ersten Weltkrieges und beim 150. Jubiläum im Jahr 1968 hatten die Studenten so gar keine Lust, sich mit den Professoren zum gemeinsamen Feiern zu treffen... Ob die Studierenden in diesem 200. Gründungsjahr Zeit und Lust zum Feiern haben, wird man am Jahresende wissen. Wir aber nehmen uns die Zeit, die Entwicklung der Universität in der Innenstadt zu erkunden und zu erläutern.

Daher möchten wir uns einige kleine Hinweise am Rande des großen Jubiläums erlauben und auf die bestimmt humorvoll gemeinten Vorwürfe des Flyertextes eingehen.


1. Gemeinsames Feiern 1968

Vor 50 Jahren hatten die Studierenden nicht nur „so gar keine Lust“, mit den Professoren (und Professorinnen) zu feiern, viele standen den von der Universität vertretenen Idealen diametral gegenüber. Dazu gehört bspw. die Ehrung des LVR-Gründers und opportunistischen NSDAP-Mitglieds Udo Klausa, der als Bendziner Landrat auch über die Schicksale der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner des Ghettos bestimmte. Erst zum 200. Jubiläum hat der Senat (natürlich geheim) beschlossen, sich von dieser Ehrung zumindest zu distanzieren. Auch die Ehrung des ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der trotz eigener Repressionen durch die NS-Machthaber explizit holländische Zwangsarbeiter angefordert hatte, sowie der Sitzstreik der Studentengewerkschaft gegen diese Entscheidung vor dem Rektorat fallen in das Jahr 1968 – letzterer regte den damaligen Rektor Schneemelcher zum Kommentar an, die „Terrorwelle“ habe nun auch Bonn erreicht.

Insofern ist kaum verwunderlich, dass von „Studentenprotesten“ und nicht von „Universitätsprotesten“ gesprochen wird; Studierende, zumal politisch interessierte, hatten wenig Grund zum Feiern.

Im Zweifel wurden sie sogar angegriffen – verbal und durchaus auch mit Waffengewalt (das bekannteste Beispiel, wenn auch nicht 1968 in Bonn: Benno Ohnesorg). Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, die Zehntausende auf die Straße und in den Hofgarten brachten, gelten dennoch als Sternstunde zivilen Protests der deutschen Geschichte. Rückendeckung durch ihre Alma Mater konnten Studierende aber keinesfalls erwarten.


2. „Zeit und Lust zum Feiern“ im Jahr 2018

Dass die Uni Bonn im Jahr 2018 ihr 200. Jubiläum feiern würde, dürfte hinreichend lange bekannt gewesen sein. Wie die Studierenden einbezogen wurden in diese Planung? Nun, tatsächlich gar nicht. Nachdem das Programm für die vier Themenquartale bereits fertig stand, wurde der Studierendenschaft angeboten, doch zu einem bestimmten Thema an einem bestimmten Termin in den Semesterferien „irgendwas studentisches“ anzubieten.

Eine studentische Initiative hat jedoch das Sommerfest der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät auf die Beine gestellt; während die Universität sich mit den über 15.000 Besucherinnen und Besuchern des Fests brüstet, vergisst sie allerdings zu erwähnen, dass die zunächst von ihr in Aussicht gestellte Finanzierungszusage recht kurzfristig verneint wurde und die Studierendenschaft eingesprungen ist. Dass neben den studentischen Bands auch Cat Ballou als Headliner aufgetreten ist, was zu den hohen Besucherzahlen beigetragen haben dürfte, wurde ebenfalls durch die Finanzierung mit studentischen Geldern ermöglicht.

Das studentische Initiativenfest BOOM wurde übrigens auf dem Sommerfestgelände in die hinterste Ecke, noch hinter die Seifenkistenrennbahn verbannt; die Hinweisschilder wurden von Unipersonal entfernt. Auf der Sommerfest-Homepage der Universität werden die Initiativen zwar erwähnt, allerdings nur per Verlinkung auf einen einzelnen Facebook-Flyer des AStA-Kulturreferats. Respektvolle Zusammenarbeit sieht anders aus, gefeiert wurde trotzdem gern – dann aber eben für sich.


3. „Wir aber nehmen uns die Zeit“

Wir freuen uns, dass Sie sich mit der Geschichte der Universität auseinandersetzen und ein bestimmt spannendes Programm auf die Beine gestellt haben. Allerdings tun das auch die Engagierten der studentischen Initiativen, der Kulturgruppen, des AStA und des Studierendenparlaments, und zwar freiwillig, ehrenamtlich und unter teils wirklich schwierigen Umständen. Zur Zeit versuchen verschiedene Initiativen beispielsweise, das neue NRW-Hochschulgesetz zu verhindern, das unter anderem die Abschaffung der studentischen Mitbestimmung in den universitären Gremien ermöglicht. Wäre das eine passende Meldung für das Jubiläumsjahr?

Die Partymentalität der Universität daher so vollkommen unkritisch zu übernehmen und auch noch mit Seitenhieben gegen die angeblich schlechtgelaunten oder gleichgültigen Studierenden zu werben ist wirklich schlechter Stil. Wir wünschen uns eine kritische, eine reflektierte und aufgeklärte Öffentlichkeit, die sich dann gern mit der Bonner Universität über ihr Jubiläum freuen darf. Aber bitte nicht auf Kosten anderer.



Für den AStA

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Sarah Mohamed (1. Vorsitzende)
Rebekka Atakan (stv. Vorsitzende)
Sander Hartkamp (stv. Vorsitzender)
Alena Schmitz (Pressesprecherin)
Tobias Eisenach (Referent für Hochschulpolitik)